In den Fallstudien werden einige analytisch vielversprechende Phänomene durch Dokumentenanalyse, Beobachtung und Interviews analysiert. Die Fallstudien sind vergleichend angelegt, sodass die Merkmale der verschiedenen Fälle des kooperativen Wirtschaftens gegenübergestellt werden können. In diesem Schritt legen wir auch besonderes Augenmerk auf die Entwicklung und Rolle von Unterstützungsstrukturen wie Dachorganisationen und Netzwerken.
Im Detail werden Seniorengenossenschaften, genossenschaftliche Gaststätten, solidarische Landwirtschaft, Bürgerenergiegenossenschaften und Plattform-Kooperativismus im Detail angeschaut.
Nahversorgung mit Lebensmitteln
In der Ernährungsfrage kulminieren mehrere Dimensionen der gegenwärtigen sozial-ökologischen Krise. Die industrielle Landwirtschaft mit ihren globalen Lebensmittellieferketten ist vielerorts Treiber von Umweltbelastungen und prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen. Die Überwindung der im Zuge des Strukturwandels gewachsenen Kluft zwischen landwirtschaftlicher Produktion und günstigem Lebensmittelkonsum aus dem Supermarkt bildet einen der zentralen Ansatzpunkte für zivilgesellschaftliche Initiativen wie die Solidarische Landwirtschaft (SoLawi, englisch: Community-supported Agriculture, CSA), durch welche demokratisch-partizipative Organisationsformen alternativen Wirtschaftens experimentell erprobt werden.
Grundgedanke von SoLawi ist es, eine direkte Beziehung zwischen Produzent:innen und Konsument:innen in der Region herzustellen. Diese in Deutschland mittlerweile ca. 400 regionale Wirtschaftsgemeinschaften zählende soziale Bewegung kann in der Praxis auf vielfältige Weise umgesetzt werden. Gemeinsam ist allen SoLawis, dass die erzeugten Lebensmittel nicht über einen Markt vertrieben, sondern an die Mitglieder der einzelnen SoLawi als Ernteanteile verteilt werden. Mitglieder bezahlen nicht einzelne Produktpreise, sondern finanzieren die für die Ernte notwendige landwirtschaftliche Tätigkeit, wobei faire Löhne gezahlt werden sollen. Die Mitglieder verpflichten sich für ein Jahr, einen zuvor meistens gemeinsam ausgehandelten monatlichen Beitrag zu entrichten. Auf diese Weise wird den Betrieben die Finanzierung garantiert und die erzeugten Lebensmittel werden nicht als Waren verstanden.
Wir begreifen die SoLawi-Bewegung und ihre vielen unterschiedlichen regionalen Wirtschaftsgemeinschaften und Organisationen als wichtigen Bestandteil des kooperativen Wirtschaftens der Zivilgesellschaft in Deutschland. Die vielfältige Auslegung, die diese Wirtschaftsweise in der Praxis erlaubt, bietet uns als Forschende ein facettenreiches Versorgungsfeld, bei deren Untersuchung wir eng mit dem Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e. V., der zentralen Dachorganisation der Bewegung, zusammenarbeiten.
In unserer Studie betrachten wir die heterogenen Typen und Formen von SoLawi aus verschiedenen Perspektiven, wobei wir in methodischer Hinsicht teilnehmende Beobachtungen, Expert:inneninterviews und eine Online-Befragung kombinieren. Ziel ist es, unsere Erkenntnisse in die Praxis zurückzuspielen, indem wir die regelmäßig auftretenden Unterstützungsbedarfe von SoLawi-Organisationen identifizieren, die von Sekundär- oder Dachorganisationen, wie dem SoLawi-Netzwerk, gedeckt werden können, um diese Wirtschaftsform strukturell zu unterstützen.
Gemeinschaftliche Energieversorgung
Die Energiewende ist nicht nur ein technisches und ökonomisches Großprojekt zur Transformation der deutschen Volkswirtschaft. Sie ist auch das Anliegen vieler engagierter Bürger:innen in allen Regionen des Landes. Als Bürgerenergiebewegung sind sie motiviert von Klimaschutz und den Potentialen erneuerbarer Energien. Hinzu kommen strukturpolitische Motive wie Dezentralität, Teilhabe und Mitgestaltung der Energieversorgung: Energiedemokratie. Dazu sind in den letzten Jahren hunderte von sogenannten Bürgerenergiegenossenschaften gegründet worden.
Ihr Tätigkeitsschwerpunkt liegt bis dato vor allem auf der Energieproduktion durch Sonne, Wind und Biomasse. Die genossenschaftliche Idee einer gemeinschaftlichen Selbstversorgung ist aufgrund energierechtlicher Hürden noch nicht ohne Weiteres möglich. Dennoch haben Energiegenossenschaften sich zusammengeschlossen, um gemeinsam auch erneuerbaren Strom und Gas an Endkund:innen zu liefern. Auf dem Weg zum Ideal echter Prosumentenenergiegenossenschaften haben sich Dachorganisationen gebildet, um die Kräfte der lokal verstreuten Einzelorganisationen zu bündeln. In der Fallstudie zu Bürgerenergiegenossenschaften untersucht das Teilgabe-Team, welche Möglichkeiten eine Dachgenossenschaft bietet, um die Akteure vor Ort zu stärken und bei der Verwirklichung der Bürgerenergievision zu unterstützen.
Die Fallstudie erfolgt in Zusammenarbeit mit den Bürgerwerken, der größten Dachgenossenschaft im Feld der Bürgerenergie. Untersucht werden die Angebote, die die Dachorganisation ihren Mitgliedern bereitstellt, wie auch die Angebote, die einzelne Mitglieder in den Verbund einbringen. Neben den Angeboten geht es auch um die Bedarfe und die Entwicklungsperspektiven dieser Form des zivilgesellschaftlichen Wirtschaftens im Energiebereich. Forschungsmethoden umfassen teilnehmende Beobachtungen, Experteninterviews und eine Online-Befragung.
Versorgung mit gesundheitsbezogenen und sozialen Diensten
Viele Organisationen der Zivilgesellschaft im Kontext der kommunalen Daseinsvorsorge und der Regionalentwicklung dienen dem Erhalt und der Schaffung von lokaler und regionaler sozialer Infrastruktur. In ihren vielfältigen Facetten reichen sie von der Nachbarschaftshilfe über Sozial- und Seniorengenossenschaften hin zu sozialverantwortlichen Formen gemeinschaftlichen Wohnens. Sie erbringen Leistungen im Sinne der Sozialgesetzgebung und/oder nicht gesetzlich definierte Leistungen mit unmittelbarem sozialem Nutzen. Dabei greifen sie durch (genossenschaftliche) Selbsthilfe und Netzwerkbildung bereits vorhandene Potenziale der Region auf und stärken diese.
Ein besonderer Fokus im Kontext der Versorgung mit gesundheitsbezogenen und sozialen Diensten liegt im Projekt Teilgabe auf Seniorengenossenschaften. Unter Seniorengenossenschaft verstehen wir viele Organisationen der Seniorenselbsthilfe, unabhängig von ihrer Rechtsform. Diese können eine ergänzende und entlastende Funktion bezüglich des sozialen Engagements von Kommunen erfüllen und sind durch eine positive Wirksamkeitserfahrung und einen hohen Identifikationsgrad gekennzeichnet. Sie sind Akteur:innen im vernetzten Sozialraum, in dem lokale und regionale Strukturen unterschiedlichen kommunalen Akteur:innen Möglichkeitsräume des Engagements bieten.
Die praxisorientierte Zielsetzung des Projektes in Kooperation mit dem Genossenschaftsexperten Burghard Flieger besteht in einem ersten Schritt in der Identifikation von Unterstützungsbedarfen. Die Forschungsergebnisse gilt es dann zu nutzen, um Strukturbildungsbemühungen zum Erfolg zu verhelfen. Konkret wird die Gründung einer seniorengenossenschaftlichen Dachorganisation angestrebt. Durch die Gestaltung eines bereichsübergreifenden Erfahrungsaustauschs soll schließlich zur Verbreitung guter Praktiken in möglichst vielen Versorgungsbereichen beigetragen werden.
Nahversorgung und soziale Interaktion
In vielen Kommunen im ländlichen Raum sinkt die Zahl von Geschäften der Nahversorgung und Räumen für soziale Interaktion. Der Zugang zu diesen ist ein wichtiger Bestandteil der gesellschaftlichen Teilhabe. Gangbare Wege, diesem Zustand zu begegnen, stellen das Engagement und die kollektive Selbsthilfe der Bürger:innen dar, die die Versorgung mit Dienstleistungen von öffentlichem Interesse durch die Gründung genossenschaftlicher Gaststättenbetriebe verbessern. Diese Initiativen können einerseits den immer größer werdenden Versorgungslücken im ländlichen Raum entgegenwirken und andererseits den Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft stärken. Sie können als Ausdruck einer Form des zivilgesellschaftlichen Engagements gesehen werden, die die Teilhabe an der Nahversorgung und die Verbesserung sozialer Chancen (in ländlichen Regionen) ermöglichen.
Das Projekt Teilgabe wirft einen genaueren Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung von Gaststätten sowie ihre Bedeutung für die Region und untersucht Einflussfaktoren, die den Gründungsprozess und (Miss-)Erfolg genossenschaftlicher Gaststätten beeinflussen. Hierbei handelt es sich um eine kleinere Fallstudie, die sich auf die etwa 30 in Deutschland existierenden genossenschaftlichen Gaststätten bezieht.
Gemeinschaftliche Online-Marktplätze
Shopping bei Amazon oder Instant Messaging über Twitter – digitale Plattformen prägen unsere Gesellschaft. Als Intermediäre schalten sich Plattformen zwischen heterogene Nutzungsgruppen und erlauben diesen, über Online-Marktplätze Waren, Dienstleistung oder Informationen auszutauschen. De facto stellen Plattformen heutzutage nicht mehr nur die zentralen Infrastrukturen des digitalen Raumes dar, sondern sie übernehmen auch in immer mehr Sektoren und Industrien essenzielle Versorgungsaufgaben – mit weitreichenden (negativen) Konsequenzen für Marktmacht, Datenschutz, Meinungsfreiheit und damit auch gesellschaftlicher Teilhabe. Mit dem Plattform-Kooperativismus ist in den vergangenen Jahren eine Bewegung aufgekommen, die sich dieser Zentralisierung von Daten, Kapital und Macht im Kontext der Plattformökonomie entgegenstellt. Der Ansatz: plattformbasierte Marktplätze entwickeln, die den genossenschaftlichen Prinzipien des geteilten Eigentums und der kollektiven Mitbestimmung folgen.
Im Rahmen von Teilgabe werden zwei solcher Plattform-Kooperativen einer vertieften Betrachtung unterzogen: während die CoopCycle-Föderation mehr als 60 Fahrradkollektiven im Letzte-Meile-Lieferdienstsektor eine gemeinschaftlich verwaltete Plattform-Infrastruktur bereitstellt, unterstützt das Open Food-Netzwerk in mehr als 10 Ländern lokale Ableger dabei, kooperative Plattformen für den Lebensmittel-Direktvertrieb aufzubauen.
Unter Rückgriff auf Expert*innen-Interviews und kleine Beobachtungen soll im Rahmen der Fallstudie der Frage nachgegangen werden, welche Potentiale für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften dieses Modell der kooperativ ausgestalteten digitalen Plattform mit sich bringt. Über die Erhebung von Netzwerkstrukturen, Zielen und Leistungen dieser beiden Organisationen soll einerseits Wissen zur Stärkung der Bewegung selbst generiert, wie andererseits auch die Übertragbarkeit kooperativer Plattformansätze auf andere Formen des gemeinwohlorientierten Wirtschaftens identifiziert werden.