Zivilgesellschaftliche Initiativen wirtschaften kooperativ in verschiedenen Versorgungsbereichen, etwa in der solidarischen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, bei Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen wie Wikis oder Freifunk, oder in gemeinschaftlich getragenen sozialen Diensten der Gesundheitsfürsorge. In der empirischen Forschung im Projekt Teilgabe wählen wir solche Phänomene als Fallstudien aus, die sich als gemeinwohlorientiert bezeichnen und die strukturbildende Entwicklungen anstoßen, zum Beispiel die Gründung von Dachgenossenschaften oder Netzwerken.
Wir verfolgen mit der empirischen Arbeit im Projekt zwei Ziele:
Im ersten Schritt der „Feldvermessung“ erarbeiten wir einen Überblick über wesentliche Formen der Gemeingüterproduktion durch zivilgesellschaftliche Wirtschaftsinitiativen, indem wir relevante Versorgungsbereiche in der Breite betrachten – also von Themen der Landwirtschaft hin zu Energie oder von Kommunikationstechnologie bis zu Wohnen und Versorgung. Zur Sondierung des empirischen Feldes nutzen wir die Methoden des Desk Research sowie Expert:inneninterviews. Als Expert:innen sind sowohl ausgewählte Multiplikator:innen aus den einzelnen Versorgungsbereichen als auch Vertreter:innen der als Praxispartner eingebundenen Netzwerkorganisationen BBE (Bundesnetzwerk Bügerschaftliches Engagement), DGRV (Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V.), ZDK (Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V.) und SEND (Social Entrepreneurship Netzwerk e.V.) vertreten.
Gemeinsam werden wir quer durch die Versorgungsbereiche den Status Quo, die Herausforderungen und Bedarfe sowie vielversprechende Ansätze und Praktiken zivilgesellschaftlichen Wirtschaftens sammeln und einordnen. Um die Relevanz der Ansätze in diesem Schritt auch quantitativ zu fassen, ziehen wir dazu verfügbare Datenquellen heran und werten sie strukturiert aus.
Im zweiten Schritt gehen wir in ausgewählten Fallstudien in die Tiefe. Hier analysieren wir einige analytisch vielversprechende Phänomene durch Dokumentenanalyse, Beobachtung und Interviews im Detail. Die Fallstudien sind vergleichend angelegt, sodass die Merkmale der verschiedenen Fälle des kooperativen Wirtschaftens gegenübergestellt werden können. In diesem Schritt legen wir auch besonderes Augenmerk auf die Entwicklung und Rolle von Unterstützungsstrukturen wie Dachorganisationen und Netzwerken.
Nahversorgung mit Lebensmitteln
In der Ernährungsfrage kulminieren mehrere Dimensionen der gegenwärtigen sozial-ökologischen Krise. Die industrielle Landwirtschaft mit ihren globalen Lebensmittellieferketten ist vielerorts Treiber von Umweltbelastungen und prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen. Die Überwindung der im Zuge des Strukturwandels gewachsenen Kluft zwischen landwirtschaftlicher Produktion und günstigem Lebensmittelkonsum aus dem Supermarkt bildet einen der zentralen Ansatzpunkte für zivilgesellschaftliche Initiativen wie die Solidarische Landwirtschaft (SoLawi, englisch Community-supported Agriculture), durch welche demokratisch-partizipative Organisationsformen alternativen Wirtschaftens experimentell erprobt werden.
Gemeinschaftliche Energieversorgung
Die Energiewende ist nicht nur ein technisches und ökonomisches Großprojekt zur Transformation der deutschen Volkswirtschaft. Sie ist auch das Anliegen vieler engagierter Bürger in allen Regionen des Landes. Als Bürgerenergiebewegung sind sie motiviert von Klimaschutz und den Potentialen erneuerbarer Energien. Hinzu kommen strukturpolitische Motive wie Dezentralität, Teilhabe und Mitgestaltung der Energieversorgung: "Energiedemokratie".
Dazu sind in den letzten Jahren hunderte von sog. Bürgerenergiegenossenschaften gegründet worden.
Versorgung mit gesundheitsbezogenen und sozialen Diensten
Viele Organisationen der Zivilgesellschaft im Kontext der kommunalen Daseinsvorsorge und der Regionalentwicklung dienen dem Erhalt und der Schaffung von lokaler und regionaler sozialer Infrastruktur. In ihren vielfältigen Facetten reichen sie von der Nachbarschaftshilfe über Sozial- und Seniorengenossenschaften hin zu sozialverantwortlichen Formen gemeinschaftlichen Wohnens. Sie erbringen Leistungen im Sinne der Sozialgesetzgebung und/oder nicht gesetzlich definierte Leistungen mit unmittelbarem sozialem Nutzen.
Nahversorgung und soziale Interaktion
In vielen Kommunen im ländlichen Raum sinkt die Zahl von Geschäften der Nahversorgung und Räumen für soziale Interaktion. Der Zugang zu diesen ist ein wichtiger Bestandteil der gesellschaftlichen Teilhabe. Gangbare Wege, diesem Zustand zu begegnen, stellen das Engagement und die kollektive Selbsthilfe der Bürger:innen dar, die die Versorgung mit Dienstleistungen von öffentlichem Interesse durch die Gründung genossenschaftlicher Gaststättenbetriebe verbessern.
Gemeinschaftliche Online-Marktplätze
Shopping bei Amazon oder Instant Messaging über Twitter – digitale Plattformen prägen unsere Gesellschaft. Als Intermediäre schalten sich Plattformen zwischen heterogene Nutzungsgruppen und erlauben diesen, über Online-Marktplätze Waren, Dienstleistung oder Informationen auszutauschen. De facto stellen Plattformen heutzutage nicht mehr nur die zentralen Infrastrukturen des digitalen Raumes dar, sondern sie übernehmen auch in immer mehr Sektoren und Industrien essenzielle Versorgungsaufgaben – mit weitreichenden (negativen) Konsequenzen für Marktmacht, Datenschutz, Meinungsfreiheit und damit auch gesellschaftlicher Teilhabe. Mit dem Plattform-Kooperativismus ist in den vergangenen Jahren eine Bewegung aufgekommen, die sich dieser Zentralisierung von Daten, Kapital und Macht im Kontext der Plattformökonomie entgegenstellt.